Homosexualität in China: Tabuthema oder Toleranz?
Wie lebt es sich als Homosexueller in China?
Wie ist es als Schwuler oder Lesbe in China zu leben?
Bevor du Narelles Geschichte liest sind hier noch ein paar wichtige Vokabeln rund um das Thema Homosexualität in China:
- Schwul – Tóng xìng liàn 同性恋 – wörtlich „gleichgeschlechtliche Liebe“
- Lesbisch – Nǚ tóng xìng liàn 女同性恋 – wörtlich „weibliche gleichgeschlechtliche Liebe“
- Queer/ Homosexuelle/r – Ku’er 酷儿
- Die LGBT Gemeinschaft bevorzugt diesen Begriff und man liest ihn oft
- Sich outen – Chū guì出柜 – wörtlich „aus dem Schrank kommen“
Narelles Geschichte – Homosexuell in China
Vielen Dank an unsere ehemalige Mitarbeiterin Narelle, die in diesem Artikel über ihre persönlichen Erfahrungen spricht.
Als ich zum ersten Mal nach Peking gekommen bin, war ich etwas nervös. Ich hatte zwar im Internet viel über das Thema Homosexualität in China gelesen, aber kannte die Situation vor Ort nicht aus erster Hand. Ich wusste zumindest, dass Homosexualität nicht illegal wäre.
Außerdem seien Vereine für Homosexuelle nicht offiziell anerkannt, viele Chinesen hätten wohl aber eine „es betrifft mich nicht, also ist es mir egal“-Einstellung zu dem Thema.
Laut meiner Internetrecherche würde es in China aber keine LGBT-Szene geben, die ich zum Beispiel aus Barcelona und London kannte.
Da ich frisch verheiratet war, habe ich mich aber sowieso eher auf ein paar gemütliche Abende auf der Couch eingestellt als Partys in Schwulenbars und -clubs.
Außerdem hatte ich erfahren, dass viele Chinesen ihre Homosexualität vor allem vor der Familie verbergen, da die meisten chinesischen Familien ein sehr traditionelles Familienbild haben. Würde meine Frau und ich unsere Liebe also ebenfalls verbergen müssen?
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Was man erwarten kann – Homosexualität in China
Es kam dann aber nicht so wie ich es erwartet hatte. Es gab schon einige „komische“ Situationen, aber das lag eher daran, dass viele Chinesen nicht über das Thema Homosexualität Bescheid wussten, als dass sie homophob wären.
Da ich meinen Ehering offen trage und anderen gegenüber erwähne, dass ich verheiratet bin, ist das nichts, was ich verbergen möchte.
Am Anfang meiner Zeit in Peking nahm ich Sprachunterricht in Chinesisch. Meine Lehrerin hat immer wieder nach „ni de airen“ gefragt. Sie hat natürlich angenommmen, dass ich mit einem Mann verheiratet wäre.
Das chinesische Wort „airen“ ist aber neutral und kann für Ehemann und -frau verwendet werden, daher war es kein Problem für mich auf diese Fragen zu antworten.
Irgendwann fragte sie dann aber „ni de zhangfu gongzuo zai nar?“.
Ich blendete die Anrede „zhanfu“ für Ehemann aus und antwortete einfach „wo de airen shi laoshi“.
Da die zhangfu-Fragen aber weitergingen und ich etwas hilflos wirkte, merkten meine Klassenkameraden, dass ich mit einer Frau verheiratet war.
Eine Woche später kam meine Lehrerin dann noch einmal zu mir und entschuldigte sich für das Missverständnis. Sie wusste nicht, dass zwei Frauen heiraten können und hatte viele Fragen.
Viele Leute waren nicht etwa homophob, sondern interessiert und neugierig. Das war mein genereller Eindruck.
Die Tatsache, dass ich lesbisch bin, wurde eher nach dem Motto „ja und?“ ignoriert oder weckte Neugier bei meinen Mitmenschen. Während meiner Zeit in China hatte ich zwei Ayis (Haushälterinnen) und die zweite ist eine gute Freundin geworden.
Sie ist sehr tolerant uns und unserer Liebe gegenüber und meine Frau und ich können uns küssen, wenn sie dabei ist.
Eine Familie in China gründen
Die eigentlich Herausforderung kam erst auf uns zu, als wir beschlossen haben eine Familie zu gründen.
Wir hatten uns daran gewöhnt, auf der Straße Händchen zu halten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. In China gibt es viele ungewöhnliche Trends und man sieht teilweise heterosexuelle Männer und Frauen, die Hand in Hand ausgehen oder heterosexuelle Männer, die pinke, glitzernde Klamotten tragen.
Außerdem trifft man in großen Städten wie Shanghai oder Peking immer wieder schwule und lesbische Paare, nur eine „Regenbogenfamilie“ hatte ich bisher noch nicht gesehen.
Meine Frau wurde als erste schwanger. Falls die Chinesen in unserem Umfeld darüber verwundert waren, haben sie es gut vor uns verborgen. Ich hatte Fragen wie „Wie geht das denn?“ und „Wer ist der Vater?“ erwartet, aber die blieben aus.
Das liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass viele Chinesen sehr höflich und diskret sind und ihren Gegenüber nicht in eine unangenehme Situation bringen möchten.
Wenn wir Arzttermine hatten, gingen wir in internationale Krankenhäuser. Unser erster Sohn Ezra wurde in Großbritannien geboren, wo meine Frau und ich kurzzeitig gelebt haben, bevor wir wieder zurück nach China sind.
Da wir wussten, wie lange es mit der künstlichen Befruchtung dauern kann, haben wir uns entschieden, direkt ein zweites Kind zu bekommen. Alles verlief super und unser zweiter Sohn Byron kam nur 11 Monate nach Ezra in Peking zur Welt.
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Schwierigkeiten kommen auf
Ab da wurde es etwas schwieriger. Das lag nicht etwa daran, dass die Leute uns Vorwürfe machten oder von unserer Lebensweise abgestoßen waren.
Das Problem war die chinesische Bürokratie. Auf der chinesischen Behörde wurden wir gefragt „Wer ist die Mutter?“ und „Wir beide“ wurde als Antwort nicht akzeptiert.
So konnte sich meine Frau nicht auf der Geburtsurkunde unseres zweiten Sohnes eintragen lassen, was ziemlich bitter für uns war.
Vor allem, da wir in Großbritannien auf dem Geburtszertifikat unseres ersten Sohnes beide als Mutter eingetragen waren. Außerdem waren die chinesischen Ärzte irritierter als die Ärzte in dem internationalen Krankenhaus.
Die größte Herausforderung aber war es, das Visum für Byron zu bekommen.
Die Beantragung für Ezras Visum war schon schwierig gewesen, da Byron aber in China geboren worden war, standen wir vor ganz andren Problemen.
Um das Land verlassen zu können, würde Byron ein Visum brauchen. Um das Visum aber überhaupt erst beantragen zu können bräuchten wir die Einverständniserklärung beider Elternteile, also auch des „Vaters“.
Die chinesischen Behörden wollten nicht akzeptieren, dass auf der Geburtsurkunde kein Vater angegeben war, mit der Begründung: „Jeder hat einen Vater“.
Es war unangenehm der chinesischen Polizei erklären zu müssen, was eine Samenbank ist. Und die Behörden wollten uns dennoch kein Visum ausstellen.
Schließlich wurden dann doch die schriftlichen Erklärungen der Befruchtungsklinik in Dänemark und der Samenbank in den USA akzeptiert und wir bekamen endlich das Visum!
Das war mit Abstand die größte Herausforderung, der wir als gleichgeschlechtliches Paar in China gegenüberstanden.
China war ein Mix aus Höhen und Tiefen, aus Herausforderungen und unglaublichen Erfahrungen. Ich empfehle aber jedem nach China zu kommen und sich nicht von solchen Erfahrungen abschrecken zu lassen.
Homosexualität ist kein großes Problem in China.
Die meisten Schwierigkeiten sind ohne Frage bürokratischer Natur. Wenn man einfach als gleichgeschlechtliches Paar in China lebt, ist das generell kein Problem.
In China als gleichgeschlechtliches Paar zu heiraten, ein Kind zu bekommen oder zu adoptieren ist dagegen schon deutlich komplizierter.
Als homosexueller Chinese ist es vielleicht sogar noch schwieriger, da die Erwartungen einer chinesischen Familie meist darauf ausgerichtet sind, zu heiraten und Kinder zu bekommen.
Ich hatte aber auch den Eindruck, dass sich das langsam etwas wandelt. Es gibt in großen Städten eine wachsende Schwulen- und Lesbenszene, wo man vor allem viele Ausländer trifft.
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Es gibt eine LGBT Gruppe in Peking, die aus Ausländern, aber auch Chinesen, besteht und in Shanghai findet jährlich eine große Gay Pride Parade statt.
In Peking hat sich vor allem für homosexuelle Männer eine ziemlich große Schwulen-und Lesbenszene im Untergrund entwickelt, außerdem gibt es schwule Nachtclubs und man sieht ab und zu gleichgeschlechtliche Paar, die Händchen haltend durch die Stadt schlendern.
In China habe ich mich als lesbische Frau bisher noch nicht unsicher oder bedroht gefühlt, was ich nicht über Großbritannien sagen kann.
Wenn du nach einer Stadt suchst, die spannendes Nachtleben für Homosexuelle verspricht, ist Peking vielleicht nicht die erste Adresse. Wenn du nach Peking kommst, um Urlaub zu machen oder Chinesisch zu lernen ist das aber kein Problem!
Mein Name ist Narelle McGregor und ich habe an der LTL in Peking gearbeitet. Ich bin eine glücklich verheiratetet lesbische Frau aus dem Vereinigten Königreich und habe zwei wundervolle Söhne.
Ich koche gerne, schaue Fußball (ich bin ein riesiger West Ham United Fan), lese und schreibe über meine Erfahrungen in China.
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